Wer heute wertend etwas über den Gartenzwerg aussagt wird ihm in keiner Weise gerecht, wenn er dabei nicht bedenkt, dass er über ein völkerkundliches Phänomen spricht, dessen reale geschichtliche Wurzeln möglicherweise viele Jahrtausende zurückreicht. Die Zwerge sind okkulte Gestalten mit übernatürlichen Kräften und ihre Winzigkeit faszinierte den Menschen seit jeher. Sie haben auch Funktionen als Bewacher und Bewahrer unterirdischer Schätze und gelten nach alter germanischer Überlieferung als kunstreiche Goldschmiede. Mit ihren magischen Kräften konnten sie zahlreiche Zauberwaffen herstellen. Auch verfügten sie über besondere Weisheiten und sind den Menschen mit ihrem Wissen in allen überlegen.
Schon in der vordynastischen Zeit (3000v.Chr.) des alten Ägyptens weisen Zwergenfiguren an Grabstelen auf ihre Existenz hin. Angeblich wurden sie zu Goldschmiedearbeiten eingesetzt. Die Ägypter verschleppten Pygmäen aus den Urwäldern Zentralafrikas, um sie als Tanzzwerge am königlichen Hof auftreten zu lassen. Dabei trugen sie Tiermasken die Dämonen abschrecken sollten. Diese unheilabwehrende Funktion des Zwergenmythos setzt sich später in der ägyptischen Götterwelt, durch den Zwergengott „Bes“, weiter fort. Bes sollte die bösen Mächte abwehren und so wurde sein Bild an Betten, Spiegeln und vor den Gebäuden angebracht, zur Abwehr des bösen Blicks. Diese Abwehrfunktion zeigt sich später auch beim Aufstellen der Gartenzwerge im Vorgarten. Mit dem Gesicht zur Straße oder zum Eingang hin, übernehmen sie die Wächterfunktion. Die alten Griechen erhoben Bes in der Frühzeit des Hellenismus (336v.Chr.) zum Fruchtbarkeitsgott.
Diese Zwergenfigur, ein „Priap“ mit übergroßem Phallus, wurde in Gärten und Weinberge aufgestellt, um Diebe abzuschrecken. Bei den Römern, die den Kult übernahmen, tauchte der Priap zum ersten Mal mit der für Gartenzwerge typischen Mütze auf, wobei sein überdimensionaler Phallus auch als Öllämpchen fungierte. Dieser Priapus, der Gott der Gärten, wurde in Pompeji gefunden (1.Jahrh.v.Chr.) und steht im Geheimkabinett des Museums von Neapel.
Auch heute noch werden die Gartenzwerge wegen ihrer roten Zipfelmütze als obzönes Symbol bezeichnet. Im Unterbewusstsein wird offenkundig die Zwergenmütze als Phallussymbol angesehen. Der Versuch von Gartenzwergherstellern den Zwergen andersfarbige Zipfelmützen zu verpassen, schlug fehl. Die roten wirken eben doch am besten!
Die älteste, neuzeitliche Zwergen-Statuette, steht im Thermenmuseum von Rom. Sie zeigt einen sitzenden Zwerg mit Kapuze und Bergmannslaterne aus der hellenistischen – römischer Zeit (336-30v.Chr.). Auch das älteste Bilddokument zeigt Zwerge beim Bergbau.
Die Abbildung ist aus der Handschrift „Aurora consurgens“ (um 1420), aus dem Besitz des ehemaligen Klosters Rheinau, heute in der Stadt-Bibliothek Zürich.
Von 1975-89 hat der Kieler Soziologe Dr. Hans Werner Prahl die Gartenzwerggeschichte erforscht. Er kam zu dem Ergebnis, dass in der heutigen Osttürkei, im 13.Jahrhundert Pygmäen als Sklaven aus Afrika in den Erz-und Kohlegruben arbeiteten. Aber die scheinbar übernatürlichen Kräfte der Zwerge verunsicherte die Grubenbesitzer. Deshalb fertigten sie aus Stein Abbildungen der kleinwüchsigen Afrikaner an, um die magischen Kräfte zu bannen.
Dr. Prahl bezeichnet diese Figuren als die Urahnen des Gartenzwerg. Von dort gelangen sie hundert Jahre später durch venezianische Kaufleute an die italienische Adelshäuser und schmückten deren Parkanlagen.
Um 1500 tauchten die ersten Sandsteinzwerge in Deutschland auf. Daraus entwickelten sich die Barockzwerge. 1616 erschuf der französische Zeichner Jacques Callot (1592-1635) die bekannte Zwergenserie “gobbi“. Als Parkfiguren und auch als Miniaturen aus Porzellan wurden diese Zwergenfiguren hergestellt. Zu sehen sind noch die alten Parkzwerge in den Schlossgärten von Neuwaldegg / Wien, Mirabell / Salzburg und Weickersheim in Baden Württemberg.
Die heutige Darstellung des Gartenzwerges mythologisch gesehen, weist ihn als den sagen- und märchenhaften Berggeist aus. Mit seiner Zipfelmütze und seiner Laterne ist er auch heute noch mit den Attributen des frühgeschichtlichen Bergmanns ausgestattet. Kaum ein Berufsstand ist von so vielen Sagen umgeben wie der des Bergmanns. So wie sich beim Seemann die Geschichten um den Klabautermann ranken, so ist es bei dem Bergmann der Zwerg. Im Bergwerk, im Reich der unterirdischen Welt, wo beim flackernden Licht der Bergmannslaterne drohende, düstere Schatten auftraten, die noch verstärkt wurden durch plötzlich auftretende Irrlichter, in dieser Abgeschiedenheit der Naturgewalt ausgesetzt, entstanden die Bergbausagen.
Die geheimnisvolle Welt im Inneren der Berge konnte man sich seit jeher nur als von jenseitigen Wesen bevölkert vorstellen. Die griechischen Historiker, Diodor und Strabon, verbreiteten die Vorstellungen (vor 2000Jahren) von dem am Berge Ida arbeitenden Daktylen, kleinen, fingergroßen Männchen, die überall nach Metallen und Erzen suchten. Die Besonderheiten der bergmännischen Arbeit, die Gefahren und das fehlende Tageslicht boten Ansätze für eine reiche Sagenbildung.
1948 nennt Prof. Heinrich Quring in seinem Buch „Geschichte des Goldes“, die Zeit von 2000 bis 1900 v.Chr. – Zwergenzeit. Er konnte auf archäologische Funde zurückgreifen und folgte der Spur der kretischen Bergbauspezialisten. An Hand von Werkzeugfunden, der etwa 16cm langen, kupfernen Kreuzhacke und Stollen von 90cm Höhe, lässt sich ihre Verbreitung bis nach Thüringen und ins Sauerland bei Meschede nachweisen.
Der berühmte, schweizer Arzt Paracelsus veröffentlichte im 16 Jh. 364 Schriften. In einer beschäftigte er sich mit den Wesen unter der Erde und bezeichnete die Bergzwerge als Erdmännlein, die etwa zwei Spannen groß sind.
Zur gleichen Zeit erscheint 1549 von dem deutschen Naturforscher und Bergbauspezialisten Georgius Agricola sein Werk “Von den Lebewesen unter Tage”. Dort werden die kleinen Lebewesen erstmals näher beschrieben. Die Zwerge sehen aus wie Greise mit langem Bart und tragen bergmännische Tracht. Sie ähneln den Haus-Kobold und die Bergleute sehen in ihnen ein gutes Vorzeichen Bodenschätze zu finden. Solange ihnen keinen Schaden zugefügt wurde, galten sie als ungefährliche Berggeister.
Aus dem Kobold als bösen Berggeist, ist die Erzbezeichnung “Kobalt” entstanden. Damals fühlten sich die Bergleute getäuscht durch das metallische Aussehen, da sie kein nutzbares Metall auszuschmelzen verstanden. Auch roch es nach Arsen und Schwefel, so dass man darin ein Erzeugnis des bösen Berggeistes sah.
Ein wichtiges Kennzeichen ist die Zwergenmütze. Sie ist mit der Vorstellung vom Zwerg untrennbar verbunden. Ein Zwerg ohne seine hohe rote Zipfelmütze wäre kein Zwerg. Diese Mütze ist die vereinfachte Form der phrygischen Mütze, wie sie uns von zahlreichen griechischen Bildwerken bekannt ist. Sie war die Kopfbedeckung der Phryger (heutige Türkei). Die kegelförmige hohe Mütze mit leicht geneigter, ausgestopfter Spitze, zeigt eine Reliefdarstellung um 500 v.Chr.
Da die Phryger um diese Zeit schon ein sehr altes Volk waren, so darf man vermuten, dass der schmucke Hut, auch den Kretern bekannt war. Sie galten schon vor 4000Jahren als Bergbauspezialisten und trugen diese Mütze, mit den Laschen an den Ohren und dem ausgestopften Kegel, als eine Art Schutzhelm. So konnten sie sich in den engen Stollen vor abbröckelnden Steinen schützen und der Zipfel dürfte schon aus Signalgründen rot gefärbt gewesen sein (Henna).
Aber auch später in den bekannten deutschen, romantischen Märchen, wie bei “Schneewittchen”, tauchten die Zwerge als Bergleute auf. Der bedeutende Gartenzwerghersteller Günter Griebel hat dieses Märchen mal auf die Forschungsarbeiten von Prof. Quring projziert. Der hatte herausgefunden, dass vor 3500 Jahren die Bodenschätze auf Kreta erschöpft waren, so dass die fachkundigen kleinwüchsigen Bergleute immer weitere Streifzüge bis weit ins europäische Festland unternahmen. So ergeben sich verblüffende Erklärungen für dieses Märchen:
Zwerge werden als sehr kleine Menschen beschrieben, die abgesondert im Wald, in Höhlen leben und nur durch Zufall mit den Einwohnern in Kontakt kamen – genauso hätten sich kleinwüchsige Ausländer benommen, deren Sprache und Mentalität sich vollkommen von der jeweiligen Gegend unterschied. Die Zwerge werden als bergbaukundig geschildert, als wieselflink, dunkelhäutig und bärtig – auch dies passt auf die Kreter der Minoischen Zeit, vor 3500Jahren. Die Zahl sieben ist durchaus logisch – denn einerseits konnte einfacher Goldbergbau durchaus von 6-8 fachkundigen Männer durchgeführt werden, andererseits wäre eine größere Zahl in unwirklichen, dicht bewaldeten Gegenden schwer zu ernähren gewesen. Es ist also denkbar, dass 6 Mann arbeiteten und einer für die Nahrung sorgte. Schneewittchen war hellhäutiger als die Zwerge und hatte langes schwarzes Haar – zumindest das letzte Detail ungewöhnlich für die „Alten Deutschen“ – aber passend zum Schönheitsideal der Kreter. Schließlich dürfte es menschlich männlich verständlich sein, dass die Bergleute auch eine Frau mitnahmen. Und praktisch war es obendrein. Das sie als weit größer als die Zwerge geschildert wird, ist erklärbar. Wie auch im Jockey-Reitsport üblich, dürften die Bergleute aus ausgesucht kleinen Kretern mit einer Größe von ca. 150cm zusammengestellt gewesen sein. Eine normal gewachsene Frau wäre demnach ca. 10 – 15cm größer. Das dieser Größenunterschied ungewöhnlich war und sich im Laufe der Märchen-Jahrhunderte noch vergrößerte, ist wohl logisch. So vermutet Günter Griebel, das der heutige Gartenzwerg der Nachkomme der ersten Gastarbeiter auf Deutschem Boden ist. Allerdings Gastarbeiter auf eigene Rechnung.
Somit hat der Zwerg eine besondere Bedeutung in der phantasievollen Bildwelt des Märchens eingenommen. Märchen haben für Kinder früher als auch heute an Bedeutung nicht verloren. Durch sie wird die Phantasie des Kindes angeregt.
Begegnungen von Menschen mit Zwergen berichten uns zahlreiche Überlieferungen, vor allem in Märchen und Sagen. Nicht nur die Zwergengeschichten, sondern auch ihr Aussehen sind uns aus der großen Zeit der Buchillustration zwischen 1850 und 1930 bekannt. Beliebt bei den Kindern ist die Zwergengestalt. Besonders ihre Überlegenheit in der Welt der Großen beeindruckt die kleinen Leser.
Auf zahlreichen Spielen und Spielzeugen finden wir Zwergendarstellungen, dem Zeitgeist entsprechend. Um die Jahrhundertwende (1900) meist als kahlköpfige Greise, verjüngten sie sich mit der Zeit in den fünfziger als Walt Disney-Zwerge, bis zu den heutigen Darstellungen, wie David der Klabauter.
Um die Jahrhundertwende zeigt sich der Zwerg auf Glückwunschkarten und auch in zahlreichen Produktwerbungen als Glücksbringer. Als eifriger und hilfsbereiter Wichtel wird er in “Die Heinzelmännchen aus Köln” beschrieben. Mit allen diesen geheimnisvollen Eigenschaften wird der Gartenzwerg auch heute noch in Verbindung gebracht, wenn wir ihn im Garten antreffen.
Verfasser Thomas Brinkmann